Controlling der Lebenszeit
Als Steve Jobs im Jahr 2007 das erste iPhone der Firma Apple vorstellte, kündigte er ein revolutionäres Produkt an. Es sollte alles verändern. Das waren seine Worte damals. Und in der Tat – Smartphones haben alles verändert. Milliarden von Menschen nutzen heute dieses so hilfreiche Produkt mit berührungsempfindlichem Bildschirm. Smartphones sind praktisch und erleichtern das tägliche Leben enorm. Kaum einer mag darauf verzichten.
Ich werde in dieses Lob des Smartphones nicht uneingeschränkt einstimmen. Natürlich sind Smartphones praktisch. Zugleich aber haben sie es geschafft, dass Milliarden von Menschen ihre Lebenszeit verschwenden.
Warum ich als Professor für Controlling darüber schreibe? Ganz einfach. Wir sorgen uns meist sehr uns um unsere Finanzen. Das gilt im Unternehmen und das gilt im Privaten. Jeder finanziellen Verschwendung treten wir energisch entgegen. Hierfür nutzen wir ausgefeilte Controlling-Tools. Wie verschwenderisch ist aber unser Umgang mit der wichtigsten Ressource unseres Lebens ‒ nämlich dem Leben selbst?
„Das Smartphone hat es geschafft, dass Milliarden von Menschen ihre Lebenszeit verschwenden“
Wenn wir in uns hineinhören, dann haben wir doch alle Sehnsucht nach dem echten Leben. Vielleicht ist auch die manchmal festzustellende Gier nach Genuss und Zerstreuung Ausdruck dieses Strebens nach Erfüllung. Erfülltes Leben! Wer will das nicht?
Und wie füllen wir nun diese Sehnsucht? Wie füllen wir unsere freie Zeit? Halten wir das überhaupt noch aus – diese freie Zeit mit ihrem scheinbaren Nichtstun, das ja gar kein Nichtstun ist. Freie Zeit – das ist das Hiersein – das Sein im Hier und im Jetzt.
„Das Leben ist jetzt!“
Das Smartphone ist in diese freie Zeit eingedrungen. Diese Zeit aber ist kein Vakuum, sondern sie ist Teil unseres Lebens. Auch Muße ist Teil unseres Lebens. Das Smartphone stiehlt uns unsere freie Zeit. Und wie schade ist es, wenn das Smartphone und damit andere Personen darüber bestimmen, wie wir unser Leben führen und was wir gerade tun.
Ich möchte einige Beispiele nennen, wie sie jeder in seinem Alltag beobachten kann:
- Wie schade ist es, wenn eine junge Mutter den Kinderwagen vor sich herschiebt, und ihr liebevoller Blick und ihre Aufmerksamkeit nicht ihrem Kind, sondern dem Smartphone gelten.
- Wie schade ist es, wenn man die kostbare Zeit des Frühlingserwachens auf einer Parkbank nicht nutzt, um die schöne Natur und die Menschen um sich her wahrzunehmen.
- Wie schade ist es, wenn man in Bus und Bahn die einen umgebenden Menschen nicht eines Blickes würdigt, sondern sich in seinem selbstgewählten Kokon jeder Möglichkeit beraubt, vielleicht die Liebe oder Freundschaft seines Lebens kennenzulernen.
- Wie schade ist es, wenn Freunde im Gespräch in einem Café beieinander sitzen und jedes „Ping“ des Smartphones wichtiger als der vor einem sitzende echte Mensch ist.
- Wie schade ist es, wenn man es zulässt, dass völlig unwichtige läppische „Informationen“ einem das Postfach „zumüllen“. Hier ein Filmchen, dort ein „Like“, hier ein Chat – und das Leben vergeht.
Wir leben nicht wirklich, sagte der Philosoph Blaise Pascal schon vor fast 400 Jahren
Der französische Philosoph Blaise Pascal (1632-1662) will uns helfen. Interessant ist, dass er zu seiner Zeit noch gar nicht an die technische Möglichkeit des Smartphones denken konnte. Das Leben am Leben vorbei gab es wohl aber schon immer, solange es Menschen gibt.
Blaise Pascal sagt: Wir schreiten durch Zeiten, die uns nicht gehören und denken nicht an die einzige, die uns gehört. Wir träumen von Zeiten, die nicht sind und flüchten aus der, die ist. Wir leben also nicht wirklich.
In einem gewissen Sinne leben wir überhaupt nicht, denn wir halten uns nicht in unserer Welt oder in unserem eigenen Sein auf. Dabei gilt doch: Unser Leben besteht nur aus der Gegenwart. Wenn wir uns also nicht in der Gegenwart befinden, leben wir nicht wirklich. Und wenn wir unser Leben außerhalb der Gegenwart verbringen, dann verbringen wir unser ganzes Leben damit, nicht zu leben.
„Wenn wir unser Leben außerhalb der Gegenwart verbringen, dann verbringen wir unser ganzes Leben damit, nicht zu leben.“
Und dann geht es vielen so, wie den Menschenkindern, die ich nachfolgend schildern möchte: So viele junge Menschen denken: „Ach, wenn ich erst 18 bin …“, „wenn ich erst mein Studium beendet habe …“, „wenn ich erst …“. Und so viele alte Menschen denken: „Ach, wäre ich nochmals jung …“, „hätte ich nur damals …“, „könnte ich nochmals …“!
Beide leben nicht. Der junge träumt von der Zukunft, der alte lebt in der Vergangenheit. Beide leben nicht in der Zeit, die uns einzig gehört: dem Jetzt.
Der Autor: Andreas Moschinski ist Professor für Finanzen/Controlling an der Hochschule Koblenz und Geschäftsführer der Moschinski Consult GbR in Mainz.